2.Juni 2023 18-21 Uhr
Alle Zigaretten sind
woanders
Worm
Sangt Hipolyt
Bellermannstr. 79
13357 Berlin
Strawberry Fields Forever
Die Frau als Blitz; ihr Raumschiff gleicht heute einem K-Jet. Es ist ganz auf Krawall gebürstet. Na, immerhin ein Raumschiff! Man kannvon hier weit blicken und Treibstoff ist genug vorhanden. Reicht noch für einige Tage. Flieg weiter bis er alle ist. Wer weiß schon, was selbst die nahe Zukunft bringen mag. Sie glaubt nicht an die Sterne, sie sah nur gern Planeten. Der Sehnsuchtsort muss einer bleiben. Sag das bitte auch E.M.,wenn du ihn treffen solltest.
So zackig du auch gehst - niemand sieht, wenn du die Beine hebst.
So war das aber früher auch, als wir noch in den Städten lebten. Du kannst jetzt aufhören zu winken, du bist nur eine Zahl. Und altes Geld bleibt altes Geld. Das wir nie über Grenzen wandern.
Es bleibt im Kreise derer. Der A- und B-Staat, noch schulterlange Schatten werfend, wird wie Scheibenkäse an noch Ungeborenen kleben.
Die Uhr ist doch schon überflüssig, es wiederholt sich täglich. Das ist wohl einfach so. Es hat sich keiner ausgedacht. Bing. Ein neues Feld erscheint. Hört auf da-mit! Ich kann nichts mehr entgegen nehmen und wehre mich, kann doch nicht sein, dass alles nur ironisch ist. Es dürstet mich nach fremden Augen, Mündern und Gedanken. Und allerliebster Fremder. Flieg doch an meinem Fenster lang. Nimm nicht die Lottumstraße! Auch wenn die Kirschen bald dort schon auf ihren Ausbruch warten. Wenn wir zwei aufeinander träfen,
du wüsstest stets wovon ich spräche. Draußen im Weltraum trommelt einer in Latschen vor meiner Tür. Nicht an der Kaufhalle gehalten, vielleicht ist heut auch Sonntag. Tür auf: Wieder keine Eier im Gefrierraum. Ich würd sie werfen - weit, weit rüber bis zum Platz. Im Raumschiffradio retten die letzten Aufrichtigen Überquerende zwischen I und Fr - in Eigenregie natürlich. Der Rauch schiebt sich durch alle Adern und staut sich in den Enden. Ich üb mich im Gedankenhalten und im Konjunktivieren.
Und wieder die Sirenen. Ob einer geht, sich selber nimmt, gar hageres verkündet hat, kann ich von hier nicht sehen.
Der Traum ruht sich heut aus. Vielleicht ist er auch aus.
22.12.2021
Heut träume ich von besseren Zeiten. Bis dahin konnte noch alles passieren. Vielleicht würden sie unter dem Eis in der Arktis noch Dinosaurier finden, wenn die Gletscher schmelzen; auferstehen würden sie und wie erstarrt davor Menschen stehend und staunend und immer noch sagend, die sind ja nicht echt. Er träumte wild, so dachte ich, morgens wurde er vom singenden Amerikaner in der Dusche geweckt, saß nackt auf dem Bett und zog sich müde die Arbeitshandschuhe an. Auf dem Fahrrad stieg ihm die Kälte in die Augen, sie brannte wie Feuer direkt ins Gehirn und brachte Sachen hervor, an die er lange nicht gedacht hatte. Ein paar Flaschen Wasser sollte er vielleicht auch kaufen und die Menschen, die von Konsumlaune gesteuert seinen Weg kreuzten, ignorieren. Ob Lothar Wieler wohl auch nachts am Fenster stand und hoffte, die Zeit würde vergehn? Die letzten Jahre haben gezeigt wer übrig bleibt. Weißt du, es gibt so Leute, die habe ich nie kennengelernt aber glaube es wäre vielleicht gar nicht schlecht. Verbündete, Absichtslose, nichts bedarf einer Erklärung, sie wären so gern mit dir, wie du eben mit ihnen. Nun, wenn man nicht in die Welt passt, dann muss man sich eine Eigene schaffen. Mit Leuten die genauso ticken. Die Gurken sind viel zu teuer und so die Dose Riesenschweinsbohnen. Während du am anderen Ende der Stadt die Wohnung streichst und ich hier das Geschirr von gestern spüle, hören wir beide im Radio den Satz „Die Nato versetzt die Einsatzkräfte in hohe Einsatzbereitschaft.“ Katastrophen übertüncht man gern mit Kriegen. Da leg ich mir die Hand vor die Augen. Als sie nach unten gleitet blendet mich ein Bild, darauf Putin im Anzug mit Maschinengewehr. Die Sonne scheint heut unerhört viel.
30.12.2021
Der Tag ist nicht um, bis der Tag um ist. Jemand zieht sich den Kragen des Mantels hoch, esregnet schräg, auf halb sieben vielleicht. Der Nebel schwebte heut Nacht seidig um alle Kirchtürme. Ich sah direkt in eine andere Zeit hinein. Die Vampire, unscharf am Horizont, drehten ihre lustlosen Runden. Ungläubig oder unter dem Einfluss der Spritze riss ich alle 5 Minuten das Fenster auf; der Himmel wechselte sein Kleid wie die Unterhosen. Der, der den Kragen hochgezogen hatte, ging sehr langsam unter den Laternen entlang. Langsamer als das. Ich hatte mir vorgestellt, er müsste so um die 120 Jahre alt sein. Er wäre als junger Mann durch das Berlin der 20er Jahre spaziert, in einem ähnlichen Anzug, wie der, den er täglich trug, wenn er die letzten Sonnenstrahlen auf der Torstraße auf sein altes, neugieriges Gesicht scheinen ließ. Sicher war er erst Ende
80. Ich würde ihn so gern mal fotografieren, aber man müsse schon sehr talentiert sein um ihn inGänze einfangen zu können. Ich beobachte, während ich plötzlich auf der anderen Straßenseite an der Ampel stehe, durch die vorbei fahrende Straßenbahn, wie eine Frau sich zu dem Mannvorbeugt, einen riesigen schwarzgrünen Tuchschal weit in die Höhe schüttelt und ihn dann seelenruhig darunter verbirgt, ihn komplett umhüllt. Er sitzt einfach ganz still da, regungslos lässt er alles geschehen und lächelt, so bilde ich mir ein, durch den Stoff kurz in meine Richtung. Ich drehe mich noch ein paar mal um, die Frau ist verschwunden, er blickt, noch eingewickelt, auf die vorbei ziehenden Reisenden. Als ich um die Ecke biege, legt mir eine Frau in rotem Pelzmantel, schwer parfümiert eine Hand auf die Schulter. „Kindchen, kennen sie das? Wenn sie denken, alle nehmen den Mund zu voll? Diese Hyperironie! Die haben doch alle aufgegeben und sich mit den gesellschaftlichen Missverhältnissen arrangiert! Aaaraaangiiiert!!! Mit dem moralischen Maßband laufe ich seit Jahren durch die Welt und setze an wirklich jeder Fußsohle an. Ich gehe noch daran zu Grunde, Kindchen!“ Sie nimmt ihre Hand von meiner Schulter und stampft davon. Das könnteich sein, in ein paar Jahren. Vielleicht war ich mir selbst begegnet. Naja - der Mantel und Duft stimmten nicht, aber man konnte ja nichts mehr ausschließen.
Geh jetzt, Jahr! Lass mich fallen.
Zwei Kinder rennen an mir vorbei, sie tragen Plateauschuhe, einen Pullover einer Privatschule in Mitte und schlürfen irgendwas mit Anti-Oxidantien.
Im dritten Stock des Hostels öffnet eine Frau das Fenster, schreit „Schöner Ausblick!“ in den Hof und knallt es schnell wieder zu. Ich bleibe an einer Pappkiste stehen, in ihr nur Lebensratgeber in rauen Mengen. Im Café
an der Ecke, trinkt jemand einen Kaffee und raucht drei Zigaretten gleich- zeitig. „Freiheit, Freiheeeiiit! Ist doch ein streitbareeer Begriff.“ singt er in derOriginalmelodie von Marius Müller Westernhagen. Die Müllabfuhr fliegt
an mir vorbei, dann drei, dicht gedrängt auf einem Mietroller, dann ist die Stadt auf einen Schlag leer. Nur die Laternen an meiner Seite. Aus einem Haus strömt plötzlich ein Paar. Der eine stürzt sich vielleicht gleich vor ein Auto oder gefährdet alle um ihn herum. Alles schwankt, wackelt, steht still und brennt lichterloh. Er ist des Lebens überdrüssig, schreit in betörender Lautstärke „Nobody is listenin‘! I hate everyone in this fuckin‘world!“ Sein Freund flüstert vorsichtig auf ihn ein. Noch Stunden später höre ich sie. In meinem Bett im fünften Stock fährt es mir in die Knochen; Einsamkeit ist kein leises Wort.
Am Fenster geht die Zeit vorbei,
im Stechschritt wohlbemerkt.
Die Forenmitglieder küssen sich jetzt auf die
Münder.
Nicht nur die Tomaten kranken
Schlechte Gedanken, gewachsen auf meinem Kopf, 2.05.23 (20:35) - 3.5.23 (05:32)
Jemand erzählt gerade,
dass Männer öfter ans römische Reich denken würden. Er hätte da eine Umfrage in seinem Freundeskreis gemacht.
Die Arbeitenden fuhren auf dem zugefrorenen See Schlaufen und kratzen Muster ins Eis. Sie schwangen sich auf, umfllirrten sich, die Arme hingen mal links, mal rechts runter, dann wurden sie hoch gen Himmel gestreckt. An den blauen Anzügen zog das Leinen kleine Blasen. Sie streichelten Schneeflocken, warfen sich fertige Bälle zu und tanzten das große Ballett. Die erste in der Kette hatte Essbares in die Kugeln gerollt, die letzte stapelte unter der Wassereiche den Turm auf. Aus der Hütte trugen sie getrocknete Holzreste herbei und schnitzen den ganzen Tag kleine Haarbürsten für Paartherapien, die die Teilnehmer*Innen beim Betreten der Sitzung geschenkt bekamen, um sich während des Streitgesprächs gegenseitig die Haare zu kämmen, wenn sie denn welche hatten. „So stellt man Nähe her", sagte Frau Dr. Maritius. Nach er Arbeit fegte Sezin noch die Späne vom Eis und ging für alle Lottoscheine kaufen. Die Stiefmütterchen tragen noch Ringelsocken, nur der Postelein steht stramm im Nebel. Halbkugelige, flugfähiger Käfer arbeiteten emsig als Logopäd*Innen am Stadtrand für Opfer von Flugunfällen und menschlichenZufallsverletzungen. In der Wintertraube hockte der Staat und bestickte für die Bienenkönigin mit Samt bezogene Sänften. Am nächsten Morgen schlagen die Arbeitendendas Eis auf, fangen wieder Fische und kratzen Nachrichten in den See, die der Frühling holen wird. Große Liebesbekundungen an die Arbeitenden vom angrenzen Betrieb, die sienie lesen würden. Sezin schaute Abends die Ziehung am Mittwoch. Das Steißbein war mitWärmepflastern beklebt, die Hände steckten in Schüsseln mit getrocknetem Allerlei. „Zahlendreher passieren allen“, sagte ihre Mutter am Telefon und schob sich einen Löffel Kartoffelbrei in den Mund. Das Jahr hatte noch 321 Tage. Der Türöffner in eine andere Welt waren oft bereits geschüttelte Hände. Bald würde das Eis schmelzen, dann würden sie den See reinigen, Schadstoffe filtern und ihn so einstellen, dass er nicht in Algen einbrechen würde bei den zu erwartenden Sommerkatastrophen. Ab Mai würde Sezin, wie die anderen, Ruderboote fahren, mit weißen Spitzenschirmen auf denen sich Leute erholenwerden, die geschwollen Füße auf die Kanten legen und Hüte ins Gesicht ziehen und sie mit ihren Problemen belasten würden. Mittwochs und Samstag würde sie Lottoscheine kaufen und während der Ziehung ihre Mutter anrufen. Sie würde kalte Lappen im Nacken haben und ihre Mutter würde sagen „Zahlendreher passieren allen“. Nachts würde sie die Taucherglocken flicken für die Arbeitseinsätze im Herbst. Die gehäkelten Krawatten für den Auszeichnungsabend, hatte sie mit Handwäsche gewaschen. Sie trockneten langsam bei der eisigen Kälte. Die Silbermöven kreisten. Ihr erstes Schlichtkleid unterschied sich vom Jugendkleid durch Schulter- und Rückenfedern. Die Silbermöwen sprachen lupenreines Englisch, eine war Professorin für
Japanische Lyrik in Oxford und besuchte ihre Schwester im Brandenburgischen. Sezin warf den Ofen an und zog getrocknetes Holz aus dem Schuppen und schob den gefüllten Schlitten aufs Eis.
Liv Billerbeck
*Berlin-Ost
Zeichnung, Objekte, Text
spielt in den Bands
Die Sonne
betreibt das Kunstprojekt